Interview mit Dr. Michael Götzen

 

 

 

Dr. Michael Götzen ist Chirurg und Orthopäde im LKH Feldkirch. Seit zwei Jahren betreut er die wöchentliche Skoliose-Ambulanz und kümmert sich um Röntgen, Korsette und Physiotherapie. Und wenn es

 

notwendig ist, ist es auch er, der die SkoliospatientInnen mit seinem Team

 

operiert.

 

 

 

SNV: Welche OP-Techniken werden angewendet?

 

Dr. Götzen: Anbieten können wir nahezu alle Techniken zur Skoliosekorrektur. Die häufigste Technik ist die „dorsale Korrekturspondylodese“.

 

D.h. das Platzieren von Schrauben über den Rücken in die Wirbel. Anhand dieser Schrauben lässt sich die Wirbelsäule in allen 3 Ebenen (von vorne, von der Seite und in der Drehung) deutlich begradigen. Im Schnitt um ca. 60-80%.

 

Bei kleineren Kindern mit einer OP-Indikation müssen zuerst Wachstumsstäbe implantiert werden.

 

Dabei handelt es sich um Stäbe, die ohne weitere Operation über den Zeitraum des Restwachstums verlängert werden können. Die Magnetstäbe werden von außen alle 3-6 Monate nachgestellt. Somit verlieren die Kinder deutlich weniger an Längenwachstum.

 

Neue Techniken sind im Kommen: Nicht-versteifende Operationstechniken bei milderen Skoliosen (45-55°) z.B. mit „Apifix“ oder „Vertebral Tethering“

 

Apifix ist ein „Ratschensystem“ bei dem die Jugendlichen mithilfe spezieller physiotherapeutischer Übungen sich selber weiter begradigen können, quasi das System selbst „nachspannen“. Dieses System eignet sich hauptsächlich für jüngere Kinder.

 

Beim „Vertebral Tethering“ handelt es sich um eine Technik, bei der die Wirbel von der Seite über den Brustkorb mit Schrauben besetzt werden. Die Schrauben werden anstatt mit einem Titanstab mit einem straffen Seil aus Kunststoff verbunden. Somit ist es möglich, im Wachstum eine gewisse Wachstumslenkung bzw. Korrektur zu erzielen. Restwachstum muss noch gegeben sein.

 

 

 

SNV: Wie viele OPs werden in Vorarlberg derzeit durchgeführt?

 

Dr. Götzen: Wir operieren im Schnitt 1 Skoliose im Monat. Wegen der in den letzten 2 Jahren stark eingeschränkten Intensivkapazitäten konnten auch wir nur einen Teil der geplanten Operationen durchführen. Ältere PatientInnen mit Skoliosen im Rahmen der Abnutzung werden fast jede Woche operiert.

 

Unter 18 Jahren sind die PatientInnen auf der Kinderabteilung, es gibt auch eine Intensivstation für Kinder.

 

 

 

SNV: Wer operiert im Landeskrankenhaus Feldkirch?

 

Dr. Götzen: Momentan operiere ich alle Skoliosen selber zusammen mit meinem Team und lerne auch andere KollegInnen an.

 

 

 

SNV: Wie lange dauert so eine Skoliose-OP?

 

Dr. Götzen: 5-6 Stunden

 

 

 

SNV: In welchem Alter wird meist operiert?

 

Dr. Götzen: Abhängig von der Art der Skoliose ist dies sehr unterschiedlich.

 

Die typische „Teenager“ - Skoliose wird meist gegen Ende des Längenwachstums operiert mit ca. 14-16 Jahren.

 

 

 

SNV: Wie lange dauert der Krankenhaus-Aufenthalt üblicherweise?

 

Dr. Götzen: In den meisten Fällen bleiben die PatientInnen 3 Tage auf der Intensivstation zur Schmerztherapie und können nach 7-10 Tagen das Krankenhaus wieder verlassen.

 

SNV: Werden "Spezialfälle" auch weitergeschickt - gibt es solche?

 

Dr. Götzen: In den letzten 2 Jahren meiner Tätigkeit hier mussten wir keine PatientInnen weiterschicken.

 

Sind die PatientInnen unsicher, empfehlen wir ihnen eine Zweitmeinung einzuholen. Zum Beispiel in Innsbruck, in Wien-Speising oder St Gallen.

 

 

 

SNV: Wer trägt die Kosten für eine Skoliose-OP?

 

Dr. Götzen: In Vorarlberg zahlt die Krankenkasse alles.

 

SNV: Wie wird eine Operation geplant?

 

Dr. Götzen: 6 Wochen vor der Operation kommen die PatientInnen für 2 Tage stationär um alle Checks vorab zu machen.

 

Nach der Operation brauchen sie meist zwischen 3 und 6 Monaten Krankenstand.

 

Der Zeitpunkt der OP wird ganz individuell gewählt, häufig nach Lehrabschluss oder während der Schulferien.

 

 

 

SNV: Wie sieht es mit Physiotherapie nach einer Operation aus?

 

Dr. Götzen: Nach der Operation wird sehr rasch mit der Physiotherapie begonnen. Anfänglich nur muskuläre Stabilisationsübungen ohne viel Bewegung. Erst nach ca. 3 Monaten kann mit dynamischen Übungen wieder begonnen werden. Ich finde die postoperative Physiotherapie essentiell, da die TherapeutInnen die PatientInnen viel öfter sehen als ich, und im Fall, dass etwas nicht passt, ein rasches Feedback geben können. Ich sehe die PatientInnen erst 3 Monate später wieder und PhysiotherapeutInnen können die PatientInnen hier gut begleiten.

 

SNV: Wie viele nicht-operierte PatientInnen werden zur Zeit bei euch betreut?

 

Dr. Götzen: Ich denke ca. 60 PatientInnen

 

 

 

SNV: Wann kommt es zur Korsettversorgung und Physiotherapie?

 

Dr. Götzen: Die häufigste Art der Skoliose ist die idiopathische Skoliose im Teenageralter. Bei diesen Skoliosen haben wir klare internationale Richtlinien:

 

 

 

Ab 10° bis 25° Abweichung der Wirbelsäule wird die Physiotherapie nach Katharina Schroth verordnet. Die Organisation des „Skoliose Netzwerk Vorarlberg“ ist sicher einzigartig. Das Gruppentraining, wo sich die Kinder austauschen können und das Miteinander gefördert wird, motiviert viele Kinder die Übungen auch wirklich durchzuführen.

 

Ab 25° bis 50° Abweichung der Wirbelsäule wird ein Korsett verordnet (23h Tragedauer). Das Korsett macht jedoch nur Sinn, solange die Teenager noch im Wachstum sind.

 

 

 

SNV: Gerade während der Zeit der Korsettversorgung, wo das Wachstum gelenkt wird, aber auch die Rumpfmuskulatur deutlich schwächer wird, ist die gezielte Rumpfkräftigung ganz wichtig!

 

 

 

SNV: Wieviele Korsette werden verschrieben?

 

Dr. Götzen: Letztes Jahr waren es 13 Korsette, im Schnitt sind es wohl 10 pro Jahr.

 

 

 

SNV: Wie sieht die Organisation der Skoliose-Ambulanz zur Zeit aus?

 

Dr. Götzen: Nahezu alle PatientInnen werden von mir persönlich betreut. Kinder, welche bereits ein Korsett haben und in Physiotherapie sind, kommen 1 mal jährlich zur Kontrolle. In der „heißen Phase“ in der die Kinder am meisten wachsen und die Skoliose sich dadurch am meisten verschlechtern kann, kommen die PatientInnen alle 6 Monate. Dieser Zeitraum ist kurz vor und während der Pubertät.

 

Die Anmeldung erfolgt am besten telefonisch über die Wirbelsäulen-Ambulanz.

 

 

 

SNV: Eine Patientenfrage ist häufig ob man Trampolinspringen soll oder nicht?

 

Dr. Götzen: Nicht Operierte: ja!

 

 

 

 

 

SNV: Wir bedanken uns für das Gespräch!

 

 

 

 

 

*Interview vom 8.2.2022, gekürzte Version